Aliyah ist erst 11 Jahre alt, kann aber bereits jetzt auf eine lange Krankheitsgeschichte zurückblicken. Seit ihrem dritten Geburtstag leidet sie an einer besonders schweren Form einer Epilepsie. Die Erkrankung ist bei ihr schwer zu behandeln, da alle bisher eingesetzten Medikamente, die das Mädchen in den letzten Jahren bekommen hat, nicht die erhoffte Wirkung erzielt haben.
Auch eine Operation der betroffenen Hirnregion, die bei manchen Epilepsiepatienten helfen kann, ist bei ihr nicht möglich. Deshalb hat Dr. Bernd Kruse, Oberarzt der Abteilung Neuropädiatrie der Kinderklinik am AMEOS Klinikum St. Salvator Halberstadt, einen anderen Weg eingeschlagen: Aliyah hat einen speziellen Gehirn-Schrittmacher eingesetzt bekommen.
Der Kinder-Epilepsie-Experte war selbst mit dabei, als dem Mädchen während einer rund einstündigen Operation von Dr. Frank Eder, Chefarzt der Chirurgischen Klinik, der Schrittmacher eingepflanzt wurde. Das etwa fünf Zentimeter große Gerät wurde unterhalb der linken Schulter unter der Haut eingesetzt. Von dort sendet es nun alle fünf Minuten 30 Sekunden lang einen bis zu zwei Milli-Ampere starken Strom-Impuls aus. Dieser fließt durch einen Draht und über eine Schlinge in den linken Vagus-Nerv. Der seitlich im Hals hinablaufende Hirnnerv leitet den Strom weiter ins Gehirn. Durch die Mini-Stromschläge sollen epileptische Anfälle verhindert werden. „Der Strom des Schrittmachers konkurriert mit der anfallsauslösenden Erregung im Gehirn, und kann die Anfälle so verringern. Davon merkt der Patient aber nichts“, sagt der Neuropädiater.
Bereits drei Tage nach Einsetzen des Schrittmachers ist Aliyah wieder auf den Beinen und freut sich auf die Entlassung nach Hause. Nur noch zwei Pflaster markieren die kleinen Schnittstellen am Hals und unter der Schulter. Von dem Gerät selbst wird sie bald gar nichts mehr spüren. „Im Prinzip kann man damit laufen, springen, schwimmen gehen – einfach alles machen“, versichert der Arzt. Die Batterie müsse erst nach bis zu zehn Jahren wieder ausgewechselt werden.
Die Methode der Vagus-Nerv-Stimulation wird seit etwa zehn Jahren mit guten Erfolgen bei Patienten mit schweren Epilepsien angewendet. Besonders Kinder mit früh beginnenden und schweren Epilepsien können davon gut profitieren.
Die meisten Epilepsie-Patienten können mit Hilfe der modernen Medizin heute ein weitgehend normales Leben führen. „Aber gerade über diese Krankheit gibt es noch viele Missverständnisse und Vorurteile“, betont Dr. Bernd Kruse. Die Krankheit gelte als Makel oder werde als Geisteskrankheit fehlverstanden. Deshalb plant er den Aufbau einer Selbsthilfegruppe betroffener Familien und ihnen Nahestehenden. „Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, den Erkrankten und deren Familien die Angst vor der Krankheit zu nehmen und Beteiligte, wie Erzieher und Lehrer, aufzuklären“, ist er sich sicher.