Zappeln, Konzentrationsschwäche, ständig unter Strom: ADHS hat viele Gesichter. Zirka 500'000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter sind bundesweit von der Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung betroffen. In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des AMEOS Klinikums in Ueckermünde werden Kinder und Jugendliche mit ADHS behandelt.
Bewegung tut gut
Noah tobt sich beim Fußball aus. Bewegung tut dem 11-Jährigen gut, egal in welcher Form. Er hat ADHS. Die Diagnose bedeutet für ihn und seine Eltern eine tägliche Herausforderung. Hausaufgaben brauchen länger, der Geräuschpegel ist hoch und es kann schon mal sein, dass die Spaghetti-Soße nicht auf dem Teller, sondern auf der Lampe landet. Die Ausprägung der Störung ist unterschiedlich. Symptome sind Aufmerksamkeitsschwäche, impulsives Verhalten und Hyperaktivität.
Hans-guck-in-die Luft oder Zappelphilipp?
Mal steht der enorme Bewegungsdrang im Vordergrund wie beim Zappelphillip, mal die Aufmerksamkeitsschwäche wie beim Hans-guck-in-die Luft. „Nicht jedes Kind, das rumzappelt, hat ADHS. Um die Diagnose stellen zu können, ist eine spezifische fachdiagnostische Untersuchung notwendig“, sagt Dr. Manfred Blütgen, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des AMEOS Klinikums Ueckermünde.
Sie ist eine Kombination aus einer medizinisch-körperlichen Untersuchung und einer psychologischen Diagnostik. Dr. Manfred Blütgen und sein 40-köpfiges Team aus Kinderpsychologen- und psychotherapeuten, Ergo-, Bewegungs- und Spieltherapeuten, Heil- und Sozialpädagogen sowie Erziehern und Pflegefachkräften behandeln die betroffenen Kinder und Jugendlichen ambulant und stationär.
„Kinder mit ADHS sind in der Regel interessiert, bemüht und kreativ. Allerdings können sie eine Aggressivität und einen unglaublich hohen Leidungsdruck entwickeln, wenn die Störung nicht diagnostiziert und behandelt wird“, weiß der Chefarzt.
ADHS wird oft nicht richtig diagnostiziert
Erschreckend für ihn sei die immer noch große Unwissenheit über die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Die Unwissenheit kann fatale Folgen haben, da sie zu Lasten des betroffenen Kindes geht. „Nur wenn Eltern, Lehrer und Ärzte/Psychotherapeuten zusammenarbeiten, ist eine optimale Therapie möglich“, sagt Blütgen.
Das weiß auch Mutter Susanne. Neben der ambulanten Verhaltenstherapie helfen ihrem Sohn Noah ein strukturierter Tag, regelmäßige Tagesabläufe und feste Regeln. Hinzukommend hat sich die zweifache Mutter auf Anraten des Mediziners für eine medikamentöse Therapie entschieden. Das Präparat, in dem der Wirkstoff Methylphenidat steckt, macht Noah ausgeglichener und fördert seine Konzentrationsfähigkeit.
Keine leichte Entscheidung, doch für Mutter Susanne die einzig Richtige. „Wenn ich meinen Sohn laufen lasse, hat er keine Chance sich schulisch zu entfalten und Sozialkompetenz zu entwickeln“, begründet die 36-jährige Verkäuferin.
Auch für Dr. Manfred Blütgen und sein Team bedarf eine medikamentöse Therapie einer sorgfältigen Abwägung und sauberen Diagnostik vorab. „Wir raten erst dann zur Einnahme von Medikamenten, wenn eine Verhaltenstherapie allein nicht wirkt“, sagt der Kinder und Jugendpsychiater und Psychotherapeut. Die medikamentöse Therapie kann auch Nebenwirkungen auslösen, wie zum Beispiel Appetitlosigkeit und Wachstumsverzögerungen.
Das Medikament Ritalin wird in Deutschland immer häufiger verschrieben. Lag der Verbrauch vor 20 Jahren noch bei 34 Kilogramm beträgt er heute 1,8 Tonnen pro Jahr. Einen bundesweiten Anstieg von Ritalin bestätigt auch Dr. Manfred Blütgen. Fatal sei es zu schnell sowie ohne ausreichende fachspezifische Untersuchungen diese Diagnose zu stellen und ein Medikament zu verschreiben, obwohl das Kind gar kein ADHS hat.
„Die Diagnose ADHS ist charakterisiert durch einen frühen Beginn, meist in den ersten fünf Lebensjahren“, erklärt Blütgen und räumt mit einem Vorurteil auf: „ADHS ist kein K.O.-Kriterium. Kinder und Jugendliche können bei rechtzeitiger Behandlung sehr gut mit dieser Störung durchs Leben kommen.“
Das hat Noah am eigenen Leib erfahren. „Ich kann mich jetzt besser konzentrieren und zappele nicht mehr so herum“, freut sich der Schüler. Seine schulischen Leistungen haben sich durch die Therapie deutlich verbessert und auch das Verhältnis zu seinen Eltern und seiner kleinen Schwester ist entspannter. „Wenn ich früher meine Mutter oder meine kleine Schwester geärgert habe, konnte ich nicht aufhören. Es ging einfach nicht. Heute weiß ich, wo die Grenze ist.“