Wollen wir gemeinsam in die Glaskugel schauen und darüber nachdenken, wie sich der Pflegeberuf in den nächsten 5 Jahren verändern wird? Welche Auswirkungen der Fachkräftemangel haben wird? Was sich aus unserer, aus AMEOS Sicht verändern sollte? Welche Aktivitäten und Schwerpunkte wir dazu entwickeln sollten?
In allen Leistungsbereichen beschäftigen wir Pflegekräfte: in der Psychiatrie und der Somatik, in der Seniorenpflege und der hochspezialisierten Fachpflege, in der Rehabilitation, in der Eingliederungshilfe und im Massregelvollzug, sowohl in den ambulanten als auch in den teilstationären und stationären Versorgungsbereichen. Pflegekräfte sind überall notwendig, weil sie mit ihren breit aufgestellten Kompetenzen und ihrem Spezialwissen in allen Leistungsbereichen gefragt sind und weil sie zugleich wichtige Impulse in die Behandlungs- und Betreuungsprozesse einbringen können. Pflege ist vor allem da stark, wo Pflege seine speziellen Beiträge in einem Teamgeschehen darstellen und umsetzen und zugleich Verantwortung übernehmen kann.
Vor 15 Jahren noch war die Situation in den AMEOS Einrichtungen, wie in vielen anderen Krankenhäusern auch, eine völlig andere. Niemand sprach vom Fachkräftemangel. Jeden Tag gingen Bewerberbungen ein, Fachkräfte sendeten uns ihre Profile zu, viele junge Menschen drängten in den Pflegeberuf. Zentrale Herausforderung war es nicht Pflegekräfte zu finden, sondern die richtigen Bewerber*innen auszuwählen, die Lust und Spass auf die Ausbildung oder den Arbeitsplatz hatten. Mit den Jahren wurden jedoch bundesweit die Initiativbewerbungen immer weniger, auch die Ausbildungsstätten klagten über Probleme, die Ausbildungsstellen zu besetzen. Dies hatte und hat unterschiedliche Ursachen, die z. T. bis heute fortdauern.
Der demografische Wandel ist einer dieser Ursachen. Die Bevölkerung wird älter, die Geburtenzahlen gehen seit Jahren zurück, immer weniger junge Menschen stehen daher für eine Ausbildung zur Verfügung. Zudem drängen immer mehr junge Menschen in die Hochschulen und Universitäten. Darüber hinaus leidet der Pflegeberuf nach wie vor darunter, unattraktiv zu sein. Zwar ist der Beruf äusserst spannend, abwechslungsreich, vielfältig und fachlich hoch anspruchsvoll. Gleichzeitig ist der Beruf aber auch geprägt von vielfältigen Belastungen durch Schicht- und Nachtdienste, Arbeit an Feiertagen und vermeintlich mangelnden Fort-, Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten. Zudem wird die Bezahlung immer wieder als im Vergleich zu anderen Berufen kritisch gesehen.
Die eine Lösung für die heutigen Herausforderungen und für die, die vor uns liegen, gibt es nicht. Wichtig sind Veränderungen an vielen Stellen, vielfältige Aktivitäten und Massnahmen. Wir haben erkannt, dass eine regionale und überregionale Ausrichtung der Massnahmen erforderlich ist, denn wir lernen, dass die Herausforderungen überall andere sind. Es geht also nicht um die eine Veränderung, sondern es geht um viele kleine wichtige Schritte, die wir gehen müssen. Ganz wesentlich dabei ist die kontinuierliche Einbeziehung unserer Pflegekräfte, denn diese wissen, was sich ändern und verbessern muss.
Aus diesem Grund hat AMEOS schon sehr frühzeitig Aktivitäten entwickelt, um auf die Herausforderung Fachkräfte- und Bewerber*innenmangel zu reagieren. Dabei spielten die Kombination regionaler, überregionaler und gruppenweiter Aktivitäten und Entscheidungen die zentrale Rolle. So wurden z. B. an vielen Standorten wichtige Kooperationen zu pädagogischen Fachschulen und Hochschulen aufgebaut, um bei den Auszubildenden und den Student*innen für neue berufliche Einsatzmöglichkeiten zu werben. Heute beschäftigen wir bei AMEOS wie selbstverständlich in allen Leistungsbereichen viele Mitarbeitende mit pädagogischen, sozialen und therapeutischen Berufen. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Leistungsbereichen um Pflegekräfte konnte so reduziert, die Bewerber*innenzahlen und die Auswahlmöglichkeiten konnten zugleich erheblich gesteigert werden.
Wir fördern seit vielen Jahren Pflegekräfte im Rahmen gezielter Fachkräfteentwicklung, wir haben Qualifikationsmöglichkeiten an vielen Stellen auf- und ausgebaut. Wir haben nicht nur die Ausbildungskapazitäten deutlich erhöht, sondern insbesondere auch die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten verbessert. So war AMEOS der erste Gesundheitsdienstleister in Deutschland, der das Konzept Akademischer Lehrkrankenhäuser für Pflege aufgebaut und in vielen Ausbildungskrankenhäusern in der Gruppe umgesetzt hat. Unser Ziel ist dabei, kontinuierlich den Anteil der akademisch ausgebildeten Pflegekräfte zu erhöhen.
Vielfalt ist unser Ziel auch bei unseren Mitarbeitenden. Wir beschäftigen heute Menschen aus über 70 Nationen, weil dies unserer gesellschaftlichen Aufgabe entspricht und weil wir Patient*innen unterschiedlichster Herkunft behandeln.
2020 sehen wir in Deutschland an vielen Stellen eine Mangelsituation. Es gibt immer weniger qualifizierte Personen auf dem Bewerber*innenmarkt, arbeitslose Pflegekräfte sind die Ausnahme.
Inzwischen haben auch die Bundes- und die Landesregierungen diesen Mangel erkannt und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Förderprogramme entwickelt. Zudem versucht man in kleinen Schritten die Finanzierung zusätzlicher Pflegestellen und eine bessere Bezahlung zu entwickeln. Diese Aktivitäten sind a.m.S. sehr wichtig, weil sie den Blick auf die grosse Gruppe der Pflegenden lenken, auf die Männer und Frauen, die jahraus jahrein unter zum Teil schwierigen und herausfordernden Bedingungen eine wichtige Arbeit leisten, für die Pflegebedürftigen, für deren Angehörigen und für die ganze Gesellschaft. Wir können uns glücklich schätzen, dass in Deutschland so viele Frauen und Männer zur Verfügung stehen, die sich bereit erklärt haben, diese Arbeit stellvertretend für andere zu übernehmen. Und dennoch wird diese Arbeit oftmals im Hintergrund verrichtet. Zwar fachlich immer hoch professionell, empathisch und persönlich, und dennoch von der Gesellschaft wenig wertgeschätzt. Und genau das muss sich ändern. Dazu tragen verschiedenste Aktivitäten bei, die wichtige gesellschaftliche Akteure angestossen haben. Auch wenn mir die getroffenen Massnahmen an einigen Stellen nicht ausreichen, sie aus meiner Sicht das Problem der fehlenden Fachkräfte sogar noch verschärfen, sorgen sie dafür, dass die notwendige Aufmerksamkeit auf die Herausforderungen im Bereich der Pflege entsteht und Gesellschaft und Politik (endlich) handeln.
Auch die Pflege muss sehr viel mehr als bisher dazu bereit sein, über den Pflegeberuf mit seinen vielen positiven Facetten und Herausforderungen, mit seinen Belastungen und den zugleich interessanten Seiten des Berufes zu diskutieren. Die Pflegenden selber müssen den eigenen Beruf mehr wertschätzen. Es ist ein toller Beruf, voller Möglichkeiten, man kann als Generalist*in oder Spezialist*in tätig sein, immer nah am Menschen, fast immer im Team mit Kolleg*Innen, zudem bietet der Pflegeberuf heute umfangreiche Fort- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten bis hin zum berufsbegleitenden Studium. Genau diese Vielfalt fehlt mir in der Diskussion, nach wie vor wird zu viel über und zu wenig mit der Pflege gesprochen, nach wie vor mischt sich Pflege zu wenig ein. Das muss sich ändern, dazu müssen die Pflegenden ihre wichtigen Beiträge leisten.
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Text: Michael Dieckmann