Autisten sind besonders – und sehr verschieden, was die Ausprägung ihrer Symptomatik angeht. Eines ist typisch für alle: Sie haben Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, sind auf stark ritualisiertes Verhalten angewiesen und haben grosse Probleme mit Veränderungen. Wird darauf nicht ausreichend Rücksicht genommen, weil sie – was häufiger vorkommt – nicht richtig diagnostiziert und entsprechend betreut werden, drohen Probleme. Wegen Ihrer Besonderheiten der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung erleben selbst hochbegabte autistische Menschen in sozialen Alltagssituationen extremen Stress, woraus unter anderem aggressives und impulsives Verhalten resultieren kann.

Besonders gross sind diese Gewaltrisiken bei einer kleinen Kerngruppe besonders schwer betroffener Patient*innen, die unter dem Einfluss ihrer Erkrankung straffällig wurden und im Massregelvollzug gelandet sind. Auch hier mangelt es Studien zufolge teilweise – wie auch in Haftanstalten – an exakter Diagnostik und spezialisierter Behandlung. Das kann nicht zuletzt zu besonders langem Freiheitsentzug führen. Mehr spezialisierte Angebote im Massregelvollzug und einen Ausbau der bislang raren – und teuren – Nachsorge- bzw. Rehabilitationseinrichtungen fordert vor diesem Hintergrund Ramona Strohm, Chefärztin des AMEOS Klinikums für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Ueckermünde, eine von bundesweit wenigen Einrichtungen, die ein spezialisiertes Konzept für diese Patientengruppe entwickelt haben.

Die Räume wirken karg. Das Mobiliar ist schlicht und resistent: Es kann nicht so schnell zerstört werden. An den Wänden hängen kaum Bilder. Sie könnten überreizen, erklärt Ramona Strohm. Auch die Geräuschempfindlichkeit sei bei Autisten extrem ausgeprägt, weshalb in dieser Wohngruppe besonders auf Ruhe und Rückzugsräume geachtet wird. Und auf eine minutiös geplante Tagesstruktur. Der schwierigste der hier separat untergebrachten vier (von insgesamt 70) Ueckermünder Forensik-Patienten sei sogar vom regulären Hofgang überfordert. Er könne nur in Begleitung und bei absoluter Ruhe – bei geschlossenen Fenstern, um ihn von den Geräuschen der anderen Patienten in einen separaten Freigangsbereich, weil sonst aggressive Entgleisungen drohen.

Der Massregelvollzug ist oft Endstation für die kleine Kerngruppe besonders schwer gestörter Autist*innen mit sehr gravierenden Verhaltensproblemen. Sie leiden insbesondere an Spannungszuständen, erklärt Strohm, „da sie nicht verstanden werden und sich nicht verständlich machen können. Hinter Gitter geraten sie dann wegen sexuell distanzlosem Verhalten, wegen Gewaltdelinquenz oder in Folge von Brandstiftungen.“

In Ueckermünde wurde erstmals 2003 bei einem Patienten eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert, der mit einer anderen (Fehl-) Diagnose eingewiesen worden war. Mehrere weitere Fehldiagnostizierte folgten. Bei falsch Diagnostizierten handele es sich meist um junge Männer, denen irrtümlich zum Beispiel eine Persönlichkeitsstörung, oft auch narzisstischer Art, eine geistige Behinderung oder ADHS zugeschrieben wurde. Oder deren Zwangs-Symptome „als Wahnvorstellungen überinterpretiert wurden“, weshalb dann „schizophrene Psychose“ in ihrer Akte steht.

Das Problem: Werden bei Menschen mit dieser Problematik nicht früh Weichen gestellt, wird es später umso schwieriger. „Der Patient, den wir hier am besten behandeln und schon nach vier Jahren entlassen konnten, hatte schon als Kind Grundlagen an sozialen Fertigkeiten durch eine spezialisierte Einrichtung erworben“, so Ramona Strohm. Doch: Auch ausserhalb des Vollzugs mangelt es an spezialisierten Betreuungsangeboten, insbesondere für Erwachsene, was dann auch die Entlassung aus der forensischen Psychiatrie erschwert. Nach Erfahrung der Ueckermünder ist es einfacher, Sexualstraftäter zu rehabilitieren als autistische Patient*innen, zumal deren Einschränkungen lebenslang bleiben. Hauptknackpunkt ist der hohe und teure Personalaufwand. „Diese Menschen brauchen besonders viel Hilfe zur Tagesstrukturierung und Orientierung. Eine reguläre Einrichtung kann das nicht leisten“, so Strohm.

Anders ist es zum Beispiel in England. Dort gebe es ein gut entwickeltes System, weil in Studien jahrelang vorgerechnet worden sei, „wie teuer es langfristig wird, wenn man nicht spezialisiert behandelt.“ Für das AMEOS Klinikum für forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Ueckermünde wurde inzwischen mit dem zuständigen Ministerium im Bundesland ein erhöhter Pflegesatz für die besonderen Plätze vereinbart. Dabei geht es nicht nur um den erhöhten Personalaufwand. Die Mitarbeitenden müssen auch speziell geschult werden. Die Möglichkeiten, wirksam zu helfen, sind vorhanden: verhaltenstherapeutische Behandlungsprogramme und unterstützende Medikation. Doch die Behandlung dauert lange. Denn: In den ersten ein bis zwei Jahren komme es in der Regel erstmal zu einer Verschlechterung – eine typische Folge von gravierender Veränderung. Danach brauche es „mindestens drei bis vier Jahre“ Behandlung. Dann folgt die schwierige Suche nach einer Nachsorgeeinrichtung, in die die Patient*innen entlassen werden können.

„Wir erwarten nicht, dass der Patient sich ändert, sondern schaffen eine Tagesstruktur mit genügend Pausen und Rückzugsmöglichkeiten, um das Aggressionslevel gering zu halten“, erklärt Strohm den Grundansatz des Ueckermünder Konzepts. Ein konkretes Beispiel aus dem Betreuungsalltag der Wohngruppe: Ein Patient zerreißt seine Hose, weil er eine neue wollte. Er war aber nicht in der Lage, dies entsprechend zu kommunizieren. „Eine Möglichkeit ist in solchen Fällen, dass wir im Tagesplan ein bestimmtes Zeitfenster am Abend einbauen, in dem wir konkret üben, wie Wünsche adäquat geäussert werden.“ Eine effiziente medikamentöse Therapie der Kernsymptome autistischer Störungen gibt es bislang nicht. „Jedoch haben sich nach unseren Erfahrungen die Wirkstoffe Risperidon und Aripiprazol zur Minderung von Erregung, Hyperaktivität, Aggression und Wutanfällen bewährt“, erklärt Strohm. Methylphenidat und Atomoxetin würden helfen, die ADHS-Problematik zu reduzieren. Die Chefärztin warnt jedoch: Da die Patient*innen sehr unterschiedlich auf diese Stoffe ansprechen, bestehe die Gefahr einer Überdosierung, weshalb man – „auch unter dem Druck einer hohen Gewaltbereitschaft“ – vorsichtig und langsam hochdosierend behandeln sollte.

 


Text: Anke Hinrichs, Bild: ©freshidea - stock.adobe.com


Ramona Strohm ist Chefärztin am AMEOS Klinikum Ueckermünde für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Ziel der unbefristeten und meist langdauernden Unterbringung der Patient*innen ist die Minimierung der Fremdgefährdung der Patient*innen und deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Insofern stehen nicht nur die Störungsbilder sondern auch die Kriminalitätsdynamiken im Fokus der Behandlung und es kommen neben modifizierten klassischen Behandlungstechniken hochspezifische deliktbezogene Methoden zur Anwendu