„In ihrer Wohnung findet man ja wirklich kein Staubkorn, das ist doch nicht mehr normal.“ Ordnungsliebenden Menschen wird schnell das Etikett „zwanghaft“ verliehen. Dabei übersehen wir, dass ein tatsächlicher „Hygienezwang“ nichts mit dem guten Gefühl zu tun hat, das wir alle kennen: Nach einer entspannenden Dusche, in einer ordentlich aufgeräumten Wohnung, in einem frisch gesaugten Auto. Menschen, die unter einem Hygienezwang leiden, tun genau das: leiden. Dr. Ulrich Förstner ist Oberarzt an den AMEOS Klinika in Bad Aussee und ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Zwangsstörungen.   

Können Sie uns kurz beschreiben, wie sich eine krankhaft übersteigerte Sauberkeit äussert?

Dr. Förstner: Beim Hygienezwang ist es weniger der Grad an Sauberkeit, der ein gesundes Mass an Reinlichkeit beschreibt, als vielmehr die damit verbundenen Gedanken und Gefühle. Ein Mensch, der an einem Hygienezwang leidet, wird durch Angstgefühle angetrieben, wie etwa die Angst vor Krankheitserregern. Durch das wiederholte Waschen und/oder Reinigen versucht die betroffene Person die Bedrohung abzuwenden und das Angstgefühl einzudämmen. Dabei werden die Abläufe zu festgelegten Ritualen, die keinen Fehler verzeihen. Eine Abweichung vom Ritual erzeugt erneut den Drang zur Wiederholung. Der erleichternde Effekt hält zudem nur kurze Zeit an.

Wird ein Hygienezwang bei den Betroffenen durch schlimme Erfahrungen mit Verschmutzungen oder unhygienischen Zuständen ausgelöst?

Dr. Förstner: So einfach lässt sich eine Zwangsstörung leider nicht erklären. Einschneidende Erlebnisse, die mit dem Gefühl des Kontrollverlustes einhergehen, begünstigen die Entwicklung einer Zwangserkrankung. Eine ängstliche Grundstimmung und biologische Faktoren tragen auch zur Entstehung bei. Die zwanghafte Wiederholung der Handlung dient der inneren Wiederherstellung des Gefühls von Sicherheit. Die Betroffenen erkennen dabei allerdings die fehlende Logik hinter der Häufigkeit oder Art der durchgeführten Rituale und nehmen ihre Situation als sehr belastend wahr.

Verschwindet ein Hygienezwang wieder irgendwann von alleine?

Dr. Förstner: Zwangsstörungen haben die Tendenz, sich immer mehr vom Leben der Erkrankten zu „klauen“. Die Rituale nehmen viel Zeit ein und der Alltag beschränkt sich immer weiter. Die Belastung durch die Erkrankung dehnt sich auf das enge persönliche Umfeld aus. Ich empfehle daher, sich möglichst früh professionelle Hilfe zu holen.

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Text: Katharina Auberger, Manuela Struber