Normalerweise unterhalten sich Ärzte bei einer Operation mit Vollnarkose über den Fortgang der nächsten Operationsschritte. Seit Mitte 2020 hingegen wird im AMEOS Klinikum Am Bürgerpark Bremerhaven von ärztlicher Seite bei diesen Eingriffen geflüstert, da die Patienten nur leicht sediert sind und sie laute Umgebungsgeräusche womöglich aufwecken könnten.
Eine Lungenoperation in Regionalanästhesie? Diese medizinische Revolution mit der Fachbezeichnung "AVATS" ist seit Mitte 2020 ein etabliertes Operationsverfahren im AMEOS Klinikum Am Bürgerpark Bremerhaven, erklärt Dr. med. Oliver Herden-Kirchhoff, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin.
Der Begriff "VATS" steht für "video assisted thoracoscopic surgery", also eine videoassistierte, minimal-invasive Operation. Bei einer Awake VATS (kurz: AVATS) wird keine Vollnarkose eingeleitet. Stattdessen erhalten die Patienten eine Regionalanästhesie zur Schmerzausschaltung und eine leichte Sedierung. Während der gesamten Operation atmen die Patienten eigenständig.
Risiken der Vollnarkose
„Normalerweise ist das Standardverfahren für thoraxchirurgische Eingriffe, also Eingriffe an Organen des Brustkorbs, die Vollnarkose“, erklärt Dr. Herden-Kirchhoff. „Dabei werden die Patienten über einen Schlauch beatmet, der in die Atemwege eingeführt wird. Gerade bei hochbetagten oder lungenvorerkrankten Patienten können bei der Vollnarkose aber negative Effekte und Risiken eintreten, die durch eine Regionalanästhesie vermieden werden.“ Der Patient erlebe die Operation „wie im Schlaf“.
Für größere Lungen-Operationen käme allerdings die bloße Sedierung des Patienten, also die Gabe von Beruhigungsmitteln, nicht infrage. „Da der Patient ja noch selbstständig atmet, bewegt er sich leicht“, so der Chefarzt. „Das ist für den Chirurgen ungünstig.“
Am besten geeignet sind daher kleinere Eingriffe, die minimal-invasiv und video-unterstützt durchgeführt werden – wie zum Beispiel die Entfernung von kleineren Tumoren, die Probeentnahme bei Tumoren (Biopsien), die Behebung von Entzündungen im Brustkorb oder die Entlastung von Lungenwasser bei fortgeschrittener Tumorerkrankung. Bei diesen Eingriffen kommt es lediglich zu einem Schnitt von circa drei Zentimetern Länge.
Ergebnis jahrelanger Forschung
Durch die Gabe von Beruhigungsmitteln geraten die Patienten in einen Dämmerschlaf. Damit der Chirurg den Hautschnitt durchführen kann, erfolgt an der betreffenden Stelle zusätzlich eine lokale Betäubung. Dr. Herden-Kirchhoff und sein Kollege, Thoraxchirurg Peter Beer, eigneten sich das Verfahren bei den auf diesem Feld führenden Experten im Klinikum München-Bogenhausen an. Dort kam es letztes Jahr zur Premiere, als die Experten nach jahrelanger Forschung einer Patientin einen Lungenflügel entfernten, während diese noch selbstständig atmete.
„Der Anästhesist muss dem Patienten so viele Medikamente geben, dass er schmerzfrei ist und sich nach Möglichkeit nicht bewegt“, schildert Dr. Herden-Kirchhoff die besondere Herausforderung. „Es sollten aber auch so wenige sein, damit er noch selbstständig atmen kann. Das ist eine Gratwanderung, die Erfahrung erfordert. Sollten Komplikationen auftreten, kann jederzeit eine Vollnarkose eingeleitet werden.“
Das Verfahren ist besonders schonend bei Mehrfacherkrankten und Patienten im höheren Lebensalter. Geistige Leistungseinschränkungen nach der Operation können so vermieden werden. "Auch für lungenkranke Patienten ist eine AVATS empfehlenswert. Sie erholen sich deutlich rascher als nach einem Eingriff in Vollnarkose", so der Chefarzt. Insgesamt haben sich in nur 8 Monaten 20 Patientenfür die neue und besonders schonende Operationsmethode entschieden. Ein toller Erfolg, der allen Mut macht.